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Am Samstag, den 15. September 2018, fanden die 13. Petersberger Gespräche in der Villa Hammerschmidt in Bonn statt. Das diesjährige Motto: „Mensch und Maschine. Oder der smarte Sprung nach vorne“ markierte die beiden thematischen Schwerpunkte des Kongresses. Während der Vormittag der Künstlichen Intelligenz als Technologie und Wissenschaftstreiber galt, gehörte der Nachmittagsblock ganz dem Reich der Mitte und seinen Strategien in Bezug auf KI und Zukunftstechnologien.

Schon in seinen Begrüßungsworten setzte Gastgeber undVorstandsvorsitzender der Comma Soft AG, Stephan Huthmacher, den konstruktiven, nach vorne gerichteten Grundakkord. So wies er darauf hin, dass wir in Deutschland leider dazu neigen, allzu schnell nach der Technologiefolgenkostenabschätzung zu fragen. Der Comma-CEO drehte den Spieß um und priorisierte die Frage, wie hoch wohl die „Technologie- Nichteinsatz-Folgekosten“, für unsere Wirtschaft, für den Wohlstand und sozialen Frieden innerhalb der Gesellschaft wären. Huthmacher forderte einen veränderten Mindset, der zum einen neuen Technologien offen gegenübersteht und zum anderen bereit ist, für die Entwicklung einer Schlüsseltechnologie wie der KI entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Gute Ideen werden erst dann zu Innovationen, wenn sie sich in Produkten niederschlagen. Huthmacher regte daher an, die Zusammenarbeit von Forschungsuniversitäten mit ausgewählten Unternehmen aus der KI- Branche zu forcieren. So könne gewährleistet werden, dass die Ideen und Visionen der klugen jungen Köpfe in smarte Anwendungen umgesetzt und so schneller auf den Markt gebracht werden. Last but not least hob der Gastgeber die wichtige Rolle von KI als Komplexitätswerkzeug hervor, das vor einigen Jahren noch nicht zur Verfügung stand. Die selbstlernenden, algorithmengesteuerten Systeme bieten eine Chance, Lösungen für hochkomplexe Probleme zu finden wie z.B. Klimawandel, Mobilität, Ernährung oder Umweltschutz. Zum anderen minimieren smarte Assistenten eventuelle Blickverengungen von Managern nach innen und außen und tragen dazu bei, dass bei strategischen Entscheidungen der Fokus geweitet wird.

Zwischen den Begrüßungsworten und der Keynote spannte der ModeratorProf. Heinz-Otto Peitgen in seinem Kurzvortrag einen „Denkrahmen“ auf und ging dabei auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation ein. Ihn machte er zum Kennzeichen eines „gewaltigen Umbruchs“. Basierend auf diesem Oppositionspaar unterschied er unser altes, auf den „Ursache-Wirkung-Beziehungen“ basierendes naturwissenschaftliches Weltbild von der neuen Zeit, die dabei sei, das alte Paradigma in vielen Bereichen zu ersetzen. Ihr „Markenkern“ ist die „Korrelation“, wie sie z.B. in Mustern sichtbar wird, die intelligente Systeme in Datenpools erkennen. Das neue Weltbild bietet sich nun als ein Geflecht oder Netzwerk von ineinander gewobenen Korrelationen dar. Im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Weltbild, in dem der Disput und die Argumentation zentral war, sei es seiner Meinung nach im auf Korrelationen setzenden Weltbild sehr schwierig bis unmöglich, sachlich zu argumentieren. Als Beispiel für das Problematische des neuen Weltbilds führte der Chaosforscher die Klimaerwärmung des Planeten an: Hier können die gleichen Korrelationen z.B. zwischen CO2-Anstieg und Erderwärmung sowohl als Beweis als auch als Gegenbeweis für den Klimawandel dienen, d.h., je nach Perspektive gleichzeitig den Befürwortern als auch den Klimaskeptikern als Beweis für ihre gegensätzlichen Positionen dienen. Somit ersetzten Heuristiken, also Methodendiskussionen, den stringenten naturwissenschaftlichen Beweis.

Einen kontroversen Einstieg in die Vorträge und einen furiosen theoretischen Überbau bot die mit „K.I. als Denkmodell“ betitelte Keynote des Bonner Philosophieprofessors Markus Gabriel. In seinem Vortrag setzte sich der Denker prinzipiell mit dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ auseinander und verneinte kategorisch, dass sich der Begriff „Intelligenz“ auch auf künstliche Systeme übertragen lässt. Er zeigte auf, dass es sich bei dem, was wir das Denken nennen, um nichts anderes als um einen Sinn handelt. Denken und Intelligenz erfüllen beide eine Funktion innerhalb unserer Umwelt. Weil sie uns helfen, auftretende Probleme besonders schnell zu lösen, dienen sie unserem Überleben als Mensch, also in der Definition des Philosophen, als „das Tier, das keines sein will“. Bezogen auf die KI stellt Gabriel die Frage, wie sich dasjenige technologische Verfahren, das wir KI nennen, zu unserem Denken verhält und antwortet: Wie ein Modell bzw. Karte einer Landschaft zur Landschaft selbst. Ein KI-System sei nur so intelligent wie ein Schreibtisch, nämlich gar nicht - ebenso wenig, wie ein Smartphone smart ist. Allerdings spielen diese und andere Artefakte in unserem Leben eine derart große Rolle, dass sie aus unserer Perspektive erstens beseelt und animistisch aufgeladen und zweitens „zu Denkmaschinen werden, ohne selbst zu denken“. Dies hat auch für die Maschinenethik Konsequenzen zum Beispiel, weil wir uns laut Gabriel von der Vorstellung verabschieden müssen, dass wir Computern oder z.B. autonomen Autos so etwas wie Ethik einprogrammieren können. Dies können wir auch schon deswegen nicht, „weil wir unsere eigene Ethik nicht kennen - wir wissen im Übrigen nicht, was sie ist“, so der Philosoph in einer seiner Thesen, mit der er eine der aktuell wichtigsten Fragen an die automatisierten Entscheidungssysteme tangiert.

Der in München an der TU lehrende Prof. Alois Knoll spannte mit seinem Human Brain Project und den Einblicken in den neuen, interdisziplinären Fachbereich Neurorobotik einen nicht nur technologischen, sondern auch europäischen Horizont auf. Er erinnerte daran, dass wir in Deutschland und Europa zwar gut aufgestellt seien, doch oftmals nur die Pionierarbeit für Anwendungen geleistet hätten, die nicht bei uns, sondern in den USA in marktgängige Produkte umgesetzt wurden. Darüber hinaus forderte er, dass wir auf europäischer Ebene unbedingt zeitnah die geeignete „Infrastruktur zur Forschung bereitstellen“ müssen - mit dem Hinweis auf das CERN in Genf als erfolgreiches europäisches Referenzprojekt.

Besonders in extrem datenintensiven Anwendungen wie den Lebenswissenschaften erweist sich die KI als Erkenntnis-Turbo. Darauf wies der Mediziner und Genomik-Professor Joachim Schultze in seinem Vortrag „Quo vadis: Künstliche Intelligenz in Medizin und

Lebenswissenschaften“ hin. Die sogenannte 2. Genomikrevolution mit ihren neuen Möglichkeiten auf Basis der Einzelgenomik z.B. personalisierte Heilmittel zu erforschen, wären ohne die Fähigkeiten der KI nicht denkbar. Die Visionen des Forschers reichen noch weiter, indem er fragt: „Was wäre, wenn wir von jeder Zelle das Genom, das Transkriptom, das Epigenom und noch viele Parameter mehr analysieren könnten?“ Schultze stellte auch die Entwicklungssprünge vor, die mit fortgeschrittener Hardware möglich seien, so mit dem neuen Memory-Driven-Computing. Der durch diesen Ansatz ermöglichte ungeheure Leistungsschub steigert die Prozessgenerierung genetischer Daten um das 111-fache. Konkret senke dies die Berechnungszeit von 22 Minuten auf 13 Sekunden - bei gleichzeitiger Reduzierung des Energieverbrauchs um 60%.

Sprung zum Reich der Mitte
Nach dem gemeinsamen Mittagessen erfolgte der Fokuswechsel von der KI als Technologie nach China als einem Land, das vor einem – offiziell erklärten – strategischen Sprung in eine neue KI-Ära und Innovationsführerschaft in den Zukunftstechnologien steht.

Den thematischen Wechsel zum Reich der Mitte leitete Prof. Markus Taube, Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China der Uni Duisburg/Essen, ein. Anhand von wesentlichen Schlaglichtern auf Chinas KI-Industrie machte er deutlich, wie strategisch und aufeinander aufbauend China bei Planung seiner Entwicklung als Wirtschaftsmacht vorgeht - mit der Vision globaler Technologieführerschaft in 2045. Neben dem Masterplan, laut dessen China bis 2030 das globale KI-Zentrum wird, gehören zu diesen Schlaglichtern z.B. die Technologieführerschaft bei Supercomputern, um 25% höhere Venture- Capital-Aufwendungen für KI-Startups als die USA oder eine sehr hohe Job- Attraktivität, verbunden mit sehr hohen Einstiegsgehältern für inländische oder ausländische KI-Experten. Hinzu kommt ein immenser Pool an Daten, die durch das weitverbreitete Mobile Payment oder E-Commmerce erhoben werden und die von vielen Startups für ihre smarten Anwendungen benutzt werden dürfen. Darüber hinaus wies der Chinakenner auf die wirkungsmächtige Allianz von Partei und Top-Unternehmen wie Alibaba, Baidu, Tencent oder dem Spracherkennungsdienstleister iFlytek hin. Das Verhältnis von Staat und den Unternehmen illustrierte der Chinaexperte durch einen Vogel, der im Käfig sitzt: Im begrenzten Radius darf er flattern, doch nur soweit es die Käfigstäbe zulassen, die Größe des Käfigs wird vom Staat definiert. Sie führe aber auch zur starken Regulierung und dem berüchtigten Social Scoring System, das ein Maß an Totalüberwachung zulässt, von dem die Dystopien eines George Orwell oder Aldous Huxley verblassen würden. Alles in allem sei es für den Westen 5 vor 12, da sich die geopolitischen und wirtschaftlichen Schwerpunkte von den USA nach Asien mit China in der Mitte verschieben.

Von seinen Erfahrungen auf seinem Weg vom Postdoc bis zum Professor und Startup-Gründer an der ShanghaiTech University berichtete Professor Sören Schwertfeger. So wies er unter anderem auf die Freiräume und eine finanzielle Förderung seines Startups in Robotik hin, wie er sie in Deutschland niemals erhalten hätte. Sehr aufschlussreich war Schwertfegers Übersicht über die mit 2.900 Universitäten hochdimensionierte Bildungslandschaft Chinas hin. Auf der anderen Seite hob er die im Schnitt bessere Innovationskultur westlicher Unternehmen hervor, ein Umstand, der sich u.a. in der höheren Personalfluktuation in chinesischen Unternehmen widerspiegelte.

Podiumsdiskussion und Gruppengespräche
Misst man den Erfolg eines Kongresses an der Leidenschaft und Intensität, mit der außerhalb der Vorträge diskutiert wird, dann war diePodiumsdiskussion am Nachmittag ein aussagekräftiger Referenzwert. Auch wenn das Thema KI immer wieder gestreift wurde, galt der überwiegende Teil der Fragen an die Expertenrunde der Entwicklung in China sowie der Stellung Deutschlands und Europas innerhalb der Industrienationen.

So zielte schon die erste Frage auf das unterschiedlich verteilte Wagniskapital ab. In Bezug auf Investitionen in KI-Startups wurden in 2017 weltweit rund 17 Milliarden Dollar investiert. Davon gingen 48% des Kapitals nach China, 38% in die USA und der Rest unter vielen anderen Nationen auch an Deutschland.

China polarisierte. Die Einstellung der Teilnehmer gegenüber dem Riesenreich schwankte zwischen Skepsis und Faszination. Während Teilnehmer auf der einen Seite der strategischen Stringenz und unternehmerischen Dynamik des chinesischen Wegs ihre Anerkennung zollten, erntete China auf der anderen Seite auch Kritik, vor allem in Bezug auf die Restriktionen, die auf Dauer Kreativität und Innovation hemmen würden. Einige Teilnehmer mahnten dagegen an, diese für uns doch sehr fremde Kultur, Denk- und Lebensweise doch erst einmal verstehen zu lernen, bevor man sie kritisiert. „Kapieren, nicht Kopieren“ war das Motto, unter das einer der Teilnehmer den sich anbahnenden Paradigmen- und Wachwechsel stellte. Jede allzu vorschnelle Kritik an China komme so in Gefahr, so ein anderer Teilnehmer, eine für den Westen typische „Entschuldigungsrhetorik für Nichtstun“ zu werden und alles beim Alten zu belassen.

Positiv hervorgehoben wurde auch, dass Chinas Kader oft exzellent ausgebildet seien und nicht selten Erfahrung aus der Industrie mitbringen. Diese Kreuzung aus technischem Know-how und wirtschaftlichem Wissen werde schon an einigen der modernen Universitäten gelehrt. So stehe für angehende Naturwissenschaftler, Informatiker und Ingenieure eine eigene Wirtschaftsfakultät bereit, an der sie Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge erwerben können. Diese Nähe von Technologie und Wirtschaft, Reißbrett und Markt, sei etwas, so war man sich einig, dass man durchaus von China auch bei uns übernehmen könnte.

Nach Ende der Diskussionen teilten sich die Teilnehmer in Gruppen auf, in denen die an diesem Tag behandelten Themen in einem gemeinsamen Gespräch nochmals vertieft werden konnten.

Die Petersberger Gespräche fanden ihren Ausklang bei einem gemeinsamen Dinner und dem Besuch eines Konzerts im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses in Bonn.

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