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Neue Behandlungsmethoden wie das Brain Age Projekt können mit Hilfe von Machine Learning helfen, die Herausforderungen zu lösen, vor denen unser Gesundheitssystem angesichts der wachsenden und alternden Gesellschaft heute steht.
Das statistische Amt der Europäischen Union Eurostat fand kürzlich heraus, dass zwar die Bevölkerung gewachsen und die Lebenserwartung gestiegen ist, sich die Anzahl der Jahre, die wir bei guter Gesundheit sind, jedoch nicht erhöht hat. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen über einen längeren Zeitraum medizinische Unterstützung benötigen. So werden besonders degenerative Erkrankungen wie Demenz in Zukunft ein immer größeres Problem darstellen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa schätzt, dass sich die Anzahl der an Demenz erkrankten Menschen von aktuell 47 Millionen bis 2030 auf 75 Millionen erhöhen und bis 2050 sogar verdreifachen wird.
Diese Fakten werfen eine Reihe von ungelösten Fragen zum Gesundheitssystem von morgen auf. Wie schaffen wir es, immer mehr Patienten zu versorgen und gleichzeitig steigende Kosten und Bedürfnisse im Blick zu behalten? Und wie wird sich die Rolle der Ärzte durch diese Entwicklung verändern?
Um Lösungen für diese und ähnliche Probleme zu finden, müssen Experten aus dem Gesundheitswesen und aus anderen Bereichen ihr Know-how kombinieren. Dabei spielt die Entwicklung neuer Technologien eine wichtige Rolle. So ist beispielsweise maschinelles Lernen ein entscheidender Innovationsmotor. Das Teilgebiet der künstlichen Intelligenz (KI) hilft Computern, aus Daten zu lernen und Muster zu erkennen, ohne speziell dafür programmiert worden zu sein.
Medizinische Anwendungsfälle für KI
Ein Bereich, in dem der Einsatz von KI kürzlich zu großen Fortschritten geführt hat, ist die medizinische Bilderkennung. Grundlage dafür ist das Deep Learning, ein Konzept, das zwar bereits in den 1960er Jahren entwickelt, dessen Potenzial jedoch aufgrund besseren Datenzugriffs, neuer Algorithmen und Verbesserungen in der parallelen Datenverarbeitung erst heute erkannt wurde.
Ein gutes Beispiel hierfür ist Prof. Dr. Christian Wachinger, der als Informatiker das Laboratory for Artificial Intelligence in Medical Imaging an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München leitet. „Der Bedarf an Datenanalysen führt zu Veränderungen im klinischen Umfeld und eröffnet Informatikern und Data Scientists neue Möglichkeiten“, betont Wachinger. „Kurz gesagt, es gibt eine wachsende Nachfrage nach Mitarbeitern, die in der Lage sind, in immer weiter anwachsenden medizinischen Datenbeständen eine Bedeutung zu erkennen.“
Wachinger, der im Zuge seiner Lehrstuhlvertretung am Universitätskrankenhaus München mit interdisziplinären Teams aus dem medizinischen, technischen und psychologischen Bereich zusammenarbeitet, verwendet maschinelle Intelligenz, um klinische Probleme wie psychische Krankheiten oder Anomalien im Gehirn zu behandeln. Ein Beispiel für diese Zusammenarbeit ist das Brain Age Project, das gemeinsam mit SAP durchgeführt wird. Für das Projekt haben sich die Mitarbeiter der LMU München mit dem SAP-Machine-Learning-Research-Team zusammengetan. Gemeinsam mit verschiedenen akademischen Partnern arbeiten sie daran, Trends zu erkennen und neue Methoden zu entwickeln, um maschinelles Lernen für die Geschäftslösungen von SAP nutzbar zu machen.
Brain Age Project
Die Arbeit auf dem Gelände des Klinikums der Universität München ermöglicht es dem LMU-Team, Ärzte und Patienten mit seiner Arbeit an fortschrittlichen Behandlungsmethoden unmittelbar zu unterstützen. Aus dieser Zusammenarbeit ist ein Rahmenwerk entstanden, das auf Altersschätzungen in der Neurobildgebung basiert und gemeinsam mit Experten für maschinelles Lernen von SAP entwickelt wurde.
„Die Idee zu dem Forschungsprojekt kam uns, als wir entdeckten, dass die manuelle Interpretation von Gehirn-Scans aus der Magnetresonanztomografie (MRT) immer komplexer und zeitaufwendiger wurde“, erklärte Wachinger. Viele Faktoren wie wachsende Datensätze und eine steigende Auflösung stellen Ärzte heute vor immer größere Herausforderungen und vergrößern den Bedarf an innovativen Analysemethoden. Gleichzeitig ist die Analyse von MRT-Aufnahmen äußerst wichtig, da auf der Basis anatomischer Veränderungen im Gehirn vorausgesagt werden kann, ob sich die kognitiven Fähigkeiten eines Patienten verschlechtern werden.
Deshalb wurden im Zuge das Brain Age Project rund 1000 anonymisierte, öffentlich verfügbare MRT-Aufnahmen gesunder Probanden verwendet, um ein Modell für maschinelles Lernen zu trainieren, das Alterungsanzeichen im Gehirn ermittelt. Dieser Datenbestand bildete die Grundlage, auf deren Basis Ärzte das Alter des Gehirns schätzen können. Durch den anschließenden Vergleich mit dem tatsächlichen Alter des Patienten können Anomalien frühzeitig ermittelt werden. So gibt es bei einem gesunden Patienten theoretisch keine große Differenz zwischen den beiden Werten. Bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz hingegen, die noch keine Symptome aufweisen, sollte das Modell eine größere Abweichung zwischen kognitivem und biologischem Alter ergeben. „Dies ermöglicht es Ärzten, Anzeichen für die Krankheit schon in einem frühen Stadium zu erkennen“, erklärt Wachinger. Er betont außerdem: „Eine Früherkennung ist bei neurodegenerativen Erkrankungen besonders sinnvoll, da so Therapiemöglichkeiten angewandt werden können, die das Fortschreiten der Krankheit hemmen, bevor Symptome auftreten.“
Intelligente Maschinen und das Gesundheitswesen der Zukunft
Ein denkbares Szenario ist, dass weiterentwickelte Deep-Learning-Algorithmen Ärzten in Zukunft automatische Analysen der Gehirnstruktur liefern, während sich der Patient noch im Gerät befindet.
Auch für maschinelles Lernen sieht Wachinger vielversprechende Einsatzmöglichkeiten im medizinischen Bereich: „Einerseits kann man Ärzten dabei helfen, ihren Job effizienter zu erledigen. Andererseits werden wir in der Lage sein, neue Dinge zu entwickeln, die zuvor nicht möglich waren.“
Mit der Weiterentwicklung von KI-Technologien wird sich die Art und Weise verändern, wie Ärzte ihre Patienten untersuchen. Zudem werden die Kosten für Gesundheitsdienstleistungen sinken, während sich die medizinische Versorgung in unterversorgten Regionen verbessert. Letztlich bietet die Aussicht auf datengestützte Analysen im Gesundheitswesen einen Grund zur Hoffnung – es erfordert jedoch kontinuierliche Forschungs- und Entwicklungsarbeit, um das vorhandene Potenzial voll auszuschöpfen. Die Grundlagenforschung wird von Machine-Learning-Experten wie Wachinger vorangetrieben, die große Mengen medizinischer Daten analysieren, um die Patientenversorgung zu verbessern und ein umfassenderes Verständnis von Krankheiten und ihren Ursachen zu gewinnen.