Home > Mobilität > Automobilindustrie braucht mehr digitalen Schub

Die Automobilindustrie sieht die Digitalisierung zunehmend als Herausforderung. Aktuell sagen 10 Prozent der Automobilzulieferer und -hersteller, dass sie die Digitalisierung eher als Risiko für das eigene Unternehmen sehen, 88 Prozent sehen sie hingegen als Chance. Vor zwei Jahren hatten gerade einmal 3 Prozent der Unternehmen von einem Risiko gesprochen, 97 Prozent von einer Chance. Zugleich gibt jedes zweite Unternehmen (50 Prozent) an, bei der Digitalisierung eher zu den Nachzüglern zu gehören, 43 Prozent sehen sich als Vorreiter. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom unter 177 Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern von Unternehmen der Automobilindustrie mit 20 oder mehr Mitarbeitern, die heute auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt vorgestellt wurde. „Auch für die Automobilindustrie wird es künftig heißen: digital first. Gerade für die Automobilnation Nummer eins ist Digitalisierung nicht Kür sondern Pflicht“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. „Das kann nicht jedes Unternehmen alleine stemmen, deshalb brauchen wir noch stärker als bislang den Austausch untereinander – mit anderen Unternehmen der Automobilbranche, mit Digitalunternehmen, mit Start-ups.“

Große Einigkeit herrscht in der Branche darüber, dass künftig digitale Technologien über den Verkaufserfolg entscheiden werden. 82 Prozent sagen, dass die Kompatibilität des Cockpits mit den gängigen Smartphones 2030 für die Käufer wichtiger sein wird als heute. Ebenfalls von größerer Bedeutung sein werden neue Fahrassistenzsysteme und Technologien für das autonome Fahren (je 80 Prozent) sowie neue Dienste auf der Grundlage von vernetztem Fahren und Car-to-Car-Kommunikation (71 Prozent). Weiter an Bedeutung gewinnen werden nach Ansicht einer Mehrheit auch Umwelteigenschaften wie Verbrauch (75 Prozent) und die Art des Antriebs (74 Prozent), also ob etwa ein Elektromotor genutzt wird. Demgegenüber werden Automarke (23 Prozent) oder Motorleistung (17 Prozent) nur für eine Minderheit wichtiger werden. Berg: „Digitale Technologien werten das Auto nicht nur auf. Sie verändern die Rolle, die das Automobil in unserer Gesellschaft hat und führen zu einer ganz neuen Form der vernetzten Mobilität.“

Autonome Fahrzeuge werden nach Meinung der Branchenexperten spätestens in 50 Jahren die Autos, wie wir sie kennen, verdrängt haben. 57 Prozent gehen davon aus, dass spätestens in 50 Jahren ausschließlich autonome Fahrzeuge zugelassen werden, jeder Neunte (11 Prozent) geht sogar davon aus, dass dies bereits in 30 Jahren der Fall sein wird. Allerdings sind die Unternehmen skeptisch, ob sie von diesem Trend profitieren werden. Zwar sagt mehr als jeder Vierte (26 Prozent), dass Deutschland aktuell als Anbieter von Technologien für das autonome Fahren eine international führende Rolle einnimmt, aber nicht einmal jeder Fünfte (19 Prozent) glaubt, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Entsprechend gehen zwei Drittel (66 Prozent) davon aus, dass neue Automobilhersteller wie Tesla das Rennen beim autonomen Fahren für sich entscheiden werden. Die deutschen Automobilhersteller sehen nur 17 Prozent als Sieger, knapp dahinter kommen große IT- und Internet-Unternehmen. Ihnen trauen 13 Prozent zu, den Markt für autonome Fahrzeuge zu erobern. „Noch ist Zeit, die Strategie zu beschleunigen und dafür zu sorgen, dass das Rennen anders ausgeht. Dazu müssen wir jetzt aber Gas geben“, sagte Berg. „Wichtig ist, den jeweils anderen nicht nur als Konkurrenten zu sehen, sondern als Partner. Digitalisierung funktioniert nicht im Alleingang, sie braucht Ökosysteme.“

Den größten Vorteil für autonome Autos gegenüber herkömmlichen Fahrzeugen sehen die Unternehmen in mehr Fahrkomfort (79 Prozent). Mit Abstand folgen geringere Umweltbelastung (43 Prozent), mehr Sicherheit für andere (39 Prozent) bzw. die Insassen (21 Prozent) sowie mehr Zeit für den Fahrer (35 Prozent), besserer Verkehrsfluss (34 Prozent) oder geringerer Kraftstoffverbrauch (29 Prozent). Damit unterscheiden sich die genannten Vorzüge deutlich von denen, die die Bundesbürger bei autonomen Autos sehen. So wurden in einer Bitkom-Umfrage Anfang des Jahres besserer Verkehrsfluss (44 Prozent) und geringerer Kraftstoffverbrauch (40 Prozent) von den potenziellen Kunden als wichtigste Vorteile genannt, gefolgt von mehr Sicherheit für andere Verkehrsteilnehmer (34 Prozent). Den zusätzlichen Fahrkomfort sahen gerade einmal 18 Prozent als Vorteil. 

In der Branche geht eine große Mehrheit davon aus, dass sich die Automobilindustrie in den kommenden 30 Jahren grundlegend verändern wird. 62 Prozent prognostizieren, dass spätestens in 30 Jahren das eigene Auto kein Statussymbol mehr sein wird. 69 Prozent sind sich sicher, dass das Auto in diesem Zeitraum für den Individualverkehr stark an Bedeutung verlieren wird, 65 Prozent erwarten, dass die Marktanteile von klassischen Autoherstellern gleichzeitig deutlich zurückgehen werden. Und 80 Prozent rechnen damit, dass sich Autohersteller zu Anbietern von Mobilitätsdiensten entwickeln. Zumindest für die Ballungsräume sieht eine Mehrheit einen gravierenden Wandel in den nächsten 30 Jahren. 56 Prozent erwarten, dass dort die Mehrheit der Autofahrer kein eigenes Fahrzeug mehr besitzen wird, zwei Drittel (68 Prozent) sagen, dass die Mehrheit der Menschen dort dann Carsharing oder dank autonomer Fahrzeuge On-Demand-Shuttles nutzen wird. „Ich bin sicher, es wird keine 30 Jahre mehr dauern, bis Mobilität zu einem Gesamtsystem wird, in dem Personen und Güter dank digitaler Technologien intelligent, schnell und sicher von A nach B kommen“, sagte Berg. „Unsere Kinder werden sich nicht mehr die Frage stellen, ,Was fährst du?‘, sondern ,Wie fährst du?‘.“

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