Das automatisierte Fahren wird oft als Lösung für viele Mobilitätsprobleme unserer Zeit gesehen. Die computergesteuerten Fahrzeuge sollen Zeitersparnis bringen und ältere Menschen mobil halten, vor allem aber sollen sie den Straßenverkehr sicherer machen. Doch geht das überhaupt? Gibt es weniger Unfälle wenn mehr automatisierte Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind?
Schon heute gibt es eine Vielzahl von Assistenzsystemen in einem modernen Pkw, die als Zwischenschritte auf dem Weg zum autonomen Fahrzeug zählen können. In Industrie und Wissenschaft hat sich mittlerweile ein Fünf-Stufen-Modell zur Beschreibung der Entwicklung vom fahrergeführten Fahrzeug bis zum vollständig fahrerlosen Auto etabliert. Der neue Audi A8 soll als erstes Serienfahrzeug die dritte Entwicklungsstufe erreicht haben. Wir sind also gerade erst am Anfang einer längeren Entwicklung. Dabei ist das automatisierte Fahren weniger ein revolutionärer Meilenstein, wie es so oft beschrieben wird, sondern eher ein schleichender technologischer Wandel in der Automobilgeschichte. Daher werden auch nicht von einem Tag auf den anderen keine Unfälle mehr passieren.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wollte es jedoch genauer wissen und ist der Frage nach der höheren Verkehrssicherheit durch computergesteuerte Fahrzeuge in einer Studie „Automatisiertes Fahren. Auswirkungen auf den Schadenaufwand bis 2035“ nachgegangen. Das Ergebnis dieser Studie mag für viele ernüchternd sein, so resümiert Bernhard Gause, Mitglied der GDV-Geschäftsführung: „Die neuen Systeme machen das Autofahren zwar sicherer, sie verbreiten sich im Fahrzeugbestand aber nur langsam und machen Reparaturen im Schadenfall teurer. Auf absehbare Zeit hat der technologische Fortschritt also nur geringen Einfluss auf das Schadengeschehen.“
Die Beobachtungen die diesem Fazit zur Grunde liegen zeigen, dass der Computer am Steuer nicht per se für weniger Schadenaufwand sorgt. So können manche Schäden gar nicht oder nur geringfügig von den Assistenzsystemen beeinflusst werden. Diebstahl, Steinschläge, Parkrempler oder Marderbisse werden weiterhin Teilkaskofälle bleiben. Die GDV kommt zu dem Ergebnis, dass maximal 56 Prozent der Schadensfälle bei der Haftpflicht und nur 27 Prozent bei der Kaskoversicherung von Automatisierung im Pkw beeinflusst werden. Dabei ist dies noch ein theoretischer Wert, in der Praxis dürften die Einsparmöglichkeiten noch geringer sein. Denn so lange der Fahrer noch die Möglichkeit hat selbst einzugreifen oder selbst eingreifen muss, bleibt die Fehlerquelle Mensch im Straßenverkehr erhalten. Zudem werden die neuen Technologien nur mit einer erheblichen Verzögerung die deutsche Automobillandschaft durchdringen, denn nicht direkt nach der Serienreife sind alle im Straßenverkehr beteiligten Autos damit ausgestattet. Außerdem wird die Schadenbilanz durch deutliche höhere Reparaturkosten aufgrund der Assistenzsysteme ausgebremst. In der Summe könnten laut Berechnungen der GDV im Jahre 2035 bei einer schnellen Verbreitung automatisierten Fahrfunktionen maximal 15,2 Prozent weniger Entschädigungsleistungen der Kfz-Versicherungen fällig werden (siehe Grafik). Verbreiten sich die neuen Technologien langsamer dann dürften nur 6,9 Prozent eingespart werden.
Allerdings ist diese Studie auch nur eine Prognose aus Sicht der Versicherer in Deutschland. Einige Punkte sind in der Rechnung des GDV nicht berücksichtigt. So mussten die Analytiker für diese Studie von dem Ist-Stand in Sachen Wirkungs- und Nutzungsgrad der Assistenzsysteme ausgehen. Doch in den nächsten Jahren wird die Industrie neue Technologien entwickeln und bestehende Systeme verbessern können, sodass die Effizienz in Sachen Unfallvermeidung deutlich gesteigert wird. Andererseits werden neue Unfallarten hinzukommen können. So ist die zunehmende Vernetzung der Fahrzeuge für den Verkehrsfluss und die Unfallvermeidung zwar erst einmal positiv, doch steigert die Digitalisierung der Fahrzeuge auch die Angriffsfläche für Hacker. Zudem kann auch der aufkommende Mischverkehr zwischen den automatisierten und nichtautomatisierten Fahrzeugen vom heutigen Standpunkt nur schlecht eingeschätzt werden.
Was kann man nun von den Fahrzeugen der Zukunft erwarten? Die Automobilhersteller gehen davon aus, dass vollautonome Fahrzeuge, die einen Teil der Fahrt ohne Eingreifen des Fahrers zurücklegen, bereits ab 2021 verfügbar sein werden, so sieht dies zumindest Peter Shaw, CEO von Thatcham Research, einer Organisation der britischen Kfz-Versicherer. „Sie werden zweifelsohne die Unfallhäufigkeit deutlich reduzieren. Wir haben dies bereits bei der Einführung des autonomen Notbremssystems beobachtet. Im Jahr 2035 können durch autonom und vernetzt fahrende Autos Unfälle um bis zu 80 Prozent reduziert werden, so eine Einschätzung der National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) aus den USA. Lässt sich eine Kollision nicht vermeiden, sinkt zumindest die Aufprallgeschwindigkeit dank der autonomen Fahrtechnik“, führt er weiter aus. Diese angelsächsische Sicht auf die Thematik ist im Sinne des technologischen Fortschritts deutlich positiver formuliert. Zeigt aber auch wie schwer der Blick in die Zukunft der Unfallstatistiken ist. Unstrittig ist nur, dass Assistenzsysteme das Fahren sicherer machen. Eine totale Unfallvermeidung wird es vermutlich solange nicht geben können wie der Mensch das Fahrgeschehen beeinflussen kann. „Weniger Unfälle, weniger Verletzte und weniger Verkehrstote. Autonomes Fahren sorgt für einen weiteren Sprung in der automobilen Sicherheit“, prognostiziert Håkan Samuelsson, Präsident und CEO der Volvo Car Group. Die Frage nach der Reduzierung der Unfälle durch automatisierte Fahrzeuge ist spekulativ. Vermutlich wäre die Klärung der Frage nach Rechtsicherheit im Falle eines vom Fahrzeug verursachten Unfalls wichtiger.